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Europameisterin in Kopenhagen 1986

Im letzten Sommer ziehe ich mit 19 Jahren aus meinem Elternhaus aus, bestehe die Fahrerprüfung und habe nun eine eigene Wohnung sowie ein eigenes Auto, was in der damaligen DDR echt Privilegien waren. Für mich bedeutet es, ein wenig mehr private Unabhängigkeit zu haben, nicht dass meine Eltern mich je kontrollierten, aber die eigenen vier Wände sind ja nun doch verführerisch und mit dem Auto baue ich auch gleich innerhalb kürzester Zeit zwei Unfälle, zum Glück relativ harmlos.
Nach nur einer Woche kriege ich die Kurve nicht zum Parkplatz und nehme die Schulmauerecke mit. Oje.
Ich gebe zu, es fällt schwer, im Sommer die richtige Disziplin zu haben. Alle rennen sie ins Freibad, nur wir Eiskunstläufer gehen Schlittschuh laufen. Naja, wenigstens bekommt man da eine schöne Abkühlung.

Leider habe ich in dieser Saison mit einer Verletzung zu kämpfen. Eine Schleimbeutelentzündung an der rechten Ferse, die ziemlich schmerzhaft ist und mir einigen Trainingrückstand einbringt.
Trotzdem gewinne ich in dieser Saison meinen 6. Nationalen Titel in Folge und möchte mir auch den Europameistertitel wieder sichern.

Nach der Pflicht liege ich gewohntermaßen wieder hinter Kira Iwanowa, aber dicht gefolgt von Claudia Leistner aus der BRD.

Für das Kurzprogramm hat sich Frau Müller diese Saison wieder etwas Außergewöhnliches für mich einfallen lassen und mich in ein bauchfreies, extrem farbenfrohes Kostüm gesteckt - passend zur Musik des bekannten Filmes “Caravan”. Leider patze ich ein wenig in der Sprungkombination Dreifach Toeloop-Doppel Rittberger, beende die Drehung des zweiten Sprunges nicht sauber und ärgere mich selbst zu Tode. Gerade das Kurzprogramm ist immer meine Stärke und nun das. Danach bekomme ich viele Aufmunterungs-Telegramme von meiner Familie, Freunden und Fans und freue mich, dass man mir soooo die Daumen drückt.
Während meiner gesamten Eislaufkarriere bin ich extrem abergläubisch und habe immer drei kleine Glücksbringer am Eis, die unsere Physiotherapeutin Gisela fest drücken muss. All die anderen Glücksbringer und Telegramme sind immer im Kleidersack in der Kabine vor Ort. Selbst die Kopenhagener Zeitung “BT” schreibt und spielt mit meinem Namen “KRITTE-VITTE-WITT-BOM-BOM, “Vöglein, Vöglein, flieg”. Die Kopenhagener drücken mir auch ihre Daumen.

Vor der Kür ist nun alles offen: Kira Iwanowa, Anna Kondraschowa, Claudia Leistner und ich. Jede hat die Chance heute Europameisterin zu werden. Mein Thron wackelt, aber ich weiß, die anderen kochen auch nur mit Wasser.

Als erste von uns vieren muss Claudia aufs Eis. Sie ist derzeit in Weltklasseform und hat eine schwierige Kür mit 4 verschiedenen Dreifachsprüngen geplant und die Goldmedaille ist für sie in unmittelbarer Reichweite. Kurz vor der Kür bekommt sie Kreislaufbeschwerden und vermasselt anschließend ihr gesamtes Programm. Sie und Kira kommen nicht ohne Stürze durch ihren Kürvortrag. Anna, eine russische Läuferin mit feinem Gefühl auf dem Eis und großer Musikalität, bleibt mir mal wieder auf den Fersen.
Ich laufe zur Musik der “West Side Story”. Erstmalig ein durchgehendes Thema meines Kürvortrags und bekomme für diesen Abend die Höchstnoten. Und als Belohnung gewinne ich meinen vierten Europameistertitel in Folge.

Copyright Katarina Witt