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Olympische Spiele in Lillehammer 1994

LILLEHAMMER 1994

1994 trat erstmals eine gesamt- deutsche Mannschaft bei den Olympischen Winterspielen an - und ich war freudig ein Teil davon. Um dies zu schaffen stellte sich heraus, dass das Jahr 1993 eine emotionale Achterbahn für mich wurde. Bei Bekanntwerden meines „Comebacks“ am Anfang des Jahres unterstellte man mir in der Presse hier in Deutschland, ich bräuchte Promotion und würde eh kurz vorher „verletzungsbedingt“ aussteigen.

Doch ich meinte es ernst! Mein Herzenswunsch war, dass ich 10 Jahre nach meiner ersten Goldmedaille in Sarajevo diese Weltbühne "Olympische Spiele" nutzen wollte, um zu zeigen, wir sollten Sarajevo bitte nicht vergessen. Dort wütete seit 1992 ein grausamer Bürgerkrieg.

Das, was mir 1984 als so ungewöhnlich und schön  auffiel, nämlich dass die folkloristische Anmutung und die Unterschiedlichkeit,  dass Kirche, Synagoge und Minarett friedlich gemeinsamen Bestand hatten. Und derzeit herrschte Krieg. Eine passendere Kür- Musik als Pete Seegers berühmtes Antikriegslied „Sag mir, wo die Blumen sind“ konnte ich für meine Mission nicht finden. Ich holte mir gemeinsam mit Dieter Dehm bei ihm persönlich telefonisch sein "ok "ein und anschließend entstand mit dem Komponisten und Pianisten Rainer Oleak unter kreativer Betreuung von Kurt Mazur ein neues Arrangement seiner Melodie.  Der Wunsch, diese Kür in Lillehammer 1994 der Öffentlichkeit zu zeigen, hat mir das gesamte Jahr über die Motivation gegeben, mich nochmals so anzustrengen und  körperlich zu quälen, wie nur Leistungssportler dies tun.

EINE ENTTÄUSCHENDE ZWISCHENSTATION

Als ich am 3.Dezember zu meinem 28. Geburtstag bei einem Schaulaufen in Frankfurt vor ausverkaufter Halle und über 100 akkreditierten Journalisten mein Kürprogramm erstmals vorstellte, versagte ich leider komplett. Ich stürzte und öffentlicher Hohn traf mich und verletzte mich sehr. Aber, ich wußte, 14 Tage später bei der Deutschen Meisterschaft würde ich mich revanchieren. Es gelang mir auch ein eindrucksvoller Wettkampf und die Spiele wurden greifbar.

ENDLICH LILLEHAMMER

Das Amateur-Eiskunstlaufen hatte nach 1988 an Popularität eingebüßt. Der Profisport wiederum boomte Besonders mit uns in den USA und deshalb änderte die ISU einmalig die Satzung und gab den Profis die Möglichkeit, sich reamateurisieren zu lassen, um an den Spielen teilnehmen zu können. Die Eistänzer und Olympiasieger von 1984 Torville/Dean, die Olympiasieger von 1988 im Paarlauf Gordeeva/Grinkov sowie im Einzellauf Brian Boitano und ich schafften dann auch diese Teilnahme.

Im Vorfeld bekam die Frauenkonkurrenz nicht ganz freiwillig eine ungeahnte Popularität. Als bei den amerikanischen Meisterschaften Nancy Kerrigan mit einer Eisenstange am Knie niedergeschlagen wird und Tonya Harding sich ihre Teilnahme bei den Olympischen Spielen trotzdem einklagt. Beide Läuferinnen trainierten zusammen auf dem Eis und täglich war die Halle gefüllt mit Unmengen an Journalisten, die schauten, ob sich ihre Wege nochmals „kreuzen“. Es blieb friedlich. In meiner Gruppe befanden sich die 15- und 16- jährigen Küken Oksana Bajul und Tanja Szewczenko. Diese wiederum stießen ziemlich brutal zusammen, stürzten und schlugen sich die Schienbeine blutig. Geistesgegenwärtig griff ich beiden unter die Arme und stellte sie wieder auf ihre Kufen. Nun fühlte ich mich echt wie die „Eis-Mama“ mit meinen 28 Jahren.

Nach einem für mich perfekten Kurzprogramm zu Robin Hoods Filmmusik, Bryan Adams Balladen- Version übrigens ein weltweiter Hit, - und ich mal wieder in einer Hosenrolle-  belegte ich den 6. Platz und somit kam ich in die letzte und beste Gruppe. Vor der Kür legte ich, wie schon immer in der Vergangenheit meine Hand auf die Bande, Frau Müller ihre vertrauensvoll oben drauf, wir schauten uns nochmal tief und aufmunternd in die Augen, bis sie mich nickend zur Mitte des Eises entließ. Ich hörte auch den unnachahmlichen Pfeifton meines Papas und weiß, meine Liebsten sind da. Erstmals erlebten meine Eltern, Familie und meine engsten und vertrautesten Freunde mich bei den Olympischen Spielen und teilten mit mir das sportlich emotionalste Erlebnis live in der Halle. Es saßen zahllose Prominente in den Rängen, unter Anderem der IOC Präsident Juan-Antonio Samaranch, Chuck Norris und selbst General AD Schwarzkopf.

Als ich nach meiner Kür für´ s Publikum stimmlos die Worte „I am so sorry“ formulierte, entschuldigte ich mich für ein Kürprogramm, das nicht ganz so perfekt lief. Die Sprünge die geplant waren, sind mir an diesem Abend nicht so gelungen wie geplant. Dabei hatte ich eine Startnummer, die ich früher immer besonders geliebt habe. Letzte Gruppe, letzte Läuferin. Größtmöglicher Druck. Ausweg: keiner.

Seit 1988 war ich keine bedeutende Wettkämpfe mehr gelaufen und genau diese Erfahrung fehlte mir jetzt und zum ersten Mal in meiner ganzen Karriere bin ich dem sportlichen Leistungsdruck nicht mehr gewachsen gewesen. Das Schönste aber in diesem Moment ist, kein Mensch versteht, warum ich mich entschuldige. Sie hatten sofort vergessen, auf welchem Platz ich landete und erinnerten sich an meine Mission. Rückblickend hatte ich aber genau das erreicht, wofür ich das ganze Jahr so gebrannt hatte. Außerdem hielt Lillehammer sein Versprechen, ein wahres olympisches Wintermärchen mit all seiner Schneepracht zu sein.

Auch spürte ich, dass es durch die Anteilnahme der Menschen an meinem Comeback, gerade in Deutschland, dazu führte, dass ich mit meinen 3. Olympischen Spielen 1994 endlich auch im vereinten Deutschland ankomme.

Als ich knapp 2 Wochen später im ausverkauften New Yorker „Madison Square Garden“ im Dunkeln aufs Eis gleite, um „Where Have All The Flowers Gone “ zu laufen , erkennen die Menschen meine Silhouette , mein blutrotes hochgeschlossenes Spitzenkleid und geben mir schon vorher „standing ovations“. 

MEINE RÜCKKEHR 2015 NACH SARAJEVO

Noch heute in 2015, als ich durch Sarajevo spazierte, begegnete ich den furchtbaren Spuren des Krieges an fast jeder Ecke. Es gibt Ruinen, Einschusslöcher in den Wohnhäusern, die nur notdürftig geflickt sind und  „Rote Rosen“ in den Straßen erinnern an die Granaten- Einschläge. Diese Stadt wurde durch 3 Ereignisse bekannt: durch das Attentat 1914 auf Erzherzog Ferdinand, welches zum Ausbruch des 1.Weltkrieg beitrug, die Olympischen Winterspiele 1984, die sie als weltoffene und herzliche Gastgeberin bravourös veranstaltete und den erschütternden Bürgerkrieg zwischen 1992 und 1995.

Es berührte mich, als ich im Rahmen der Dreharbeiten meiner ARD- Dokumentation Katarina Witt-„Eine Reise zu mir“ im Herbst 2015 zurück in diese multikulturelle Stadt kam, sie farbenprächtig und voller junger optimistischer Menschen sehen konnte und auch von so vielen erkannt zu werden. Ihr Dank, dass ich Sarajevo und ihre Menschen nie vergessen habe, wird  immer einen besonderen Platz in meinem Herzen haben.

Copyright Katarina Witt