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Eiskunstlauf Europameisterin in Prag 1988

Die Zeitungsüberschriften in diesem Jahr titeln: HÖRZU: ”Sie tanzt nur noch einen Winter”, FFdabei: “Mach´s gut, Kati”, QUICK: “Hollywood lockt die Eisprinzessin”, Funk Uhr: “Zwischen Marx und Michael”, NEWSWEEK: “Die Kufenschlacht”

Ja, es soll meine letzte Saison als Eiskunstläuferin bei den Amateuren werden. Wie es danach weiter geht und was meine Zukunft bringen soll, steht für mich in den Sternen. Ich weiß, als Sportlerin möchte ich dieses Jahr unbedingt alle Titel nochmal gewinnen und beschließe, dass ich dem Wettkampfsport den Rücken kehren werde, da mir die Motivation fehlen wird, dieses aufwendige Training auf diesem Niveau weiterhin zu absolvieren, welches jedem Hochleistungssportler unglaublichen Verzicht abverlangt. Allerdings möchte ich als Eiskunstläuferin weiter auf dem Eis stehen, das Publikum verzaubern und in die Welt des Geschichten Erzählens auf dem Eis eintauchen. Nur, ich lebe in einem Land, wo bisher kein Eiskunstläufer das je durfte, in Shows aufzutreten.
Jetzt gilt es aber erst einmal meinen allerletzten Europameistertitel zu gewinnen.

Alles ist in diesem Jahr zum letzten Mal, aber alles ist auch neu. Die spanischen Klänge der Gitarre faszinierten mich schon vor drei Jahren und deshalb wählten wir damals die “Flamenco Phantasien” als mein Kurzkürprogramm. Als ich letztes Jahr mit großer Hingabe im Training zu Caryn Kadavys spanischen Kürmelodien improvisierte, war klar, dass nun vollends meine Leidenschaft für diese Musik entfacht ist und die Idee, die Rolle der verführerischen “Carmen” zu interpretieren, wird gleichzeitig bei mir und meiner Trainerin Frau Müller geboren.
Ich nehme Ballettunterricht um die stolze Haltung der temperamentvollen Spanierin zu erlernen und schaue mir den modernen “Carmen” Film von Carlos Saura oft an. Auch habe ich nun schon ein wenig an der Liebe und der Unbarmherzigkeit der Leidenschaft geschnuppert, bin älter, reifer und fraulich genug, um diese Rolle mit glaubhaftem Leben zu füllen.
Im Kurzprogramm wählen wir Broadway Melodien “Jerry s Girl”. Beide Programme sind wieder so gegensätzlich. Das eine voller Lebensfreude und Schnelligkeit, dass ich nur so über die Eisbahn wirbeln muss und das andere dramatisch, kokett, leidenschaftlich. Ich nehme mir Zeit für Augenkontakt zum Publikum und Preisrichtern und ja, flirte auch mit ihnen.
Die Kostüme werden von Frau Eppinger aus dem “Friedrichstadtpalast” geschneidert. Sie hat schon sehr viele meiner Eislaufkostüme für mich entworfen und genäht. Sie stellt Showkostüme für Tänzerinnen her. Die sind raffinierter. Die sind ein wenig freizügiger. Hier ist nun die Herausforderung, eine Mischung zwischen mehr Sport und weniger Show hinzubekommen. Ich glaube es gelingt uns sehr gut. Ok ein wenig mehr Show ist schon dabei und genau das erschreckt und erstaunt den Rest der Eislaufwelt gewaltig und manch Trainer reagiert ein wenig zu empört über die Federn, die Höschen und den Ausschnitt. Die Welt ist nach wie vor verwundert, dass ich ein bisschen bunter bin, farbenfroher und nicht so grau, wie sich die meisten die DDR vorstellten. Klar, heute ist weniger oft mehr! Doch wenn man wenig hat, dann nimmt man mitunter zuviel davon. Also sind es mehr Federn, mehr Glitzersteine, kräftigere Farben.

Die Pflicht habe ich in diesem Jahr echt gebimst. Ich wollte nie mehr so weit hinten liegen und eine solche Aufholjagd starten müssen, wie im letzten Jahr. Vielleicht bin ich auch mit dem Alter ruhiger geworden und genieße das schweigsame Training und die Ruhe der Eishalle, wo man sich nur durch mein lautstarkes Niesen erschreckt. Ansonsten stehe ich mit Körperspannung auf meinen ungeliebten Pflichtfiguren und träume im täglichen Training vom Leben danach, nach Olympia 88.
Es hat sich gelohnt. Ich liege nach den Pflicht-Figuren an zweiter Stelle nach, wie soll es anders sein, Kira Iwanowa. Na, da weiß ich doch, Gold ist im Rahmen des Möglichen. Monika Schüler schreibt: “Für den ersten Paukenschlag sorgte die 1.65 große und 52 kg schwere Karl-Marx-Städterin mit ihrem Showtanz geprägten Kurzprogramm “Jerry´s Girl”, die ihr mit perfekt gelungenen Elementen gleich fünfmal die 6,0 einbrachte - ein Novum, das erstmals seit Einführung der Kurzkür 1973 bei den Damen “Traumnoten” vergeben wurden. Ebenfalls ohne Fehler blieben die vor der Kür noch führende Kira Iwanowa und Anna Kondraschowa (beide UdSSR), die dann aber im freien Vortrag Katarina Witts nichts gleichwertiges entgegen zusetzten hatten. Die Meisterin setzte den Höhepunkt mit ihrer voller Hingabe dargestellten “Carmen”, sprang vier Dreifache sicher und erntete erneut zweimal 6.0”.
10.000 Zuschauer sorgen für eine großartige Atmosphäre, Preisrichter, Fernsehreporter, Journalisten und Experten zollen mir viel Lob für die neuen Wettkampfprogramme und die Interpretation meiner “Carmen”.
Und trotzdem weiß ich, obwohl es meine beste Leistung überhaupt bei einer Europameisterschaft ist, habe ich noch Reserven. Olympia ist erst in 5 Wochen. Das gibt mir noch einen kleinen Puffer zu trainieren.
Im Endergebnis liege ich an erster Stelle, Kira Iwanowa an zweiter, Anna Kondraschowa an dritter und Claudia Leistner wird Vierte.
Dieses Ergebnis scheint in den letzten 4 Jahren relativ ähnlich zu sein und erinnert mich irgendwie an den Film “Und täglich grüßt das Murmeltier”. Der sollte aber erst noch gedreht werden.

Copyright Katarina Witt