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Weltmeisterschaft 1986 in Genf-Silber

Der Musikauswahl und der entsprechenden Choreografie haben meine Trainerin Frau Müller, mein Choreograf Rudi Suchy und auch ich mit zunehmender Erfahrung, Reife und meiner größer werdenden Freude an der Schauspielerei auf dem Eis große Aufmerksamkeit geschenkt.
Im Kurzprogramm hatte ich in der Vergangenheit immer versucht, thematisch konsequent zu sein. Nun widme ich mich zum allerersten Male in einer Kür einem Thema und einem Charakter durchgehend. Diese Saison spiele ich die “Maria” aus der berühmten “West Side Story”.
Die Musik muss einem Eisläufer einfach Spaß machen und nie langweilig werden. Da man täglich an den Programmen übt und somit die Musik ständig hört, darf sie einem “nicht aus den Ohren wieder heraus kommen” denn dann hat man echt ein Problem. Genauso wichtig war uns immer, dass das Kleid zur Musik passt und den Charakter unterstützt. Zum ersten Mal probiere ich ein Kostüm zur nationalen Meisterschaft und wir merken: Hier passte das Kostüm zwar von der Idee zum Programm, aber überhaupt nicht zu mir. Die Proportionen waren verschoben und ich sah bieder aus. Kurz entschlossen flog das Kleid in die Mottenkiste und eine neue Idee musste her.
In Erinnerung war uns nicht nur der spektakuläre und unvergessliche “Bolero” von Torvill/Dean bei den Olympischen Spielen in Sarajevo, sondern auch ihr ungewöhnliches Kostüm. Schwupp, genau dieses haben wir uns für die “Maria” ideentechnisch “ausgeborgt”.
In schwarz, mit silbernen Pailletten bestickt, Fransenröckchen und mit Fledermausärmelchen. Oh, habe ich mich pudelwohl in dem Kleid gefühlt, es passt perfekt zu mir und meiner “West Side Story”. Alle finden es wirklich besonders ausgefallen und einmalig.
Das Kürprogramm macht mir das ganze Jahr über schon viel Freude und bringt mir Erfolg. Außerdem spüre ich meine eigene künstlerische Weiterentwicklung auf dem Eis.

Die Weltmeisterschaft beginnt so, wie ich es nun schon gewohnt bin. Die Pflicht beende ich als Dritte und das bedeutet eigentlich eine ganz schöne Ausgangsposition für mich. Kira Iwanowa, wie immer an erster Stelle, an zweiter schon eine stark verbesserte Debi Thomas. Oh lala sie war doch fünfte bei den Weltmeisterschaften im letzten Jahr, aber wieso schon so weit vorn in der Pflicht in diesem Jahr? Damit hatte ich nicht gerechnet.
Trotzdem ist noch alles offen und möglich.
Im Kurzprogramm verpatze ich wieder die Sprungkombination, fast genauso wie zur Europameisterschaft vor einem Monat. Ich glaub´ es nicht. Das, was immer meine Stärke ist, fängt an mir Schwierigkeiten zu bereiten. Hoffentlich entwickelt sich keine Phobie daraus in der Zukunft! Ich verlasse die Eishalle mit verheultem Gesicht, falle auf den vierten Rang zurück und weiß, Gold für mich ist futsch.
Dafür ist Gold für Debi greifbar nahe und um den Rest kämpfen jetzt wir anderen Mädchen. Und wenn ich überhaupt eine Medaille haben möchte, darf ich jetzt nicht den Kopf hängen lassen, sondern muss kämpfen und versuchen, die Kür meines Lebens zu laufen.
Die Konkurrenz ist unglaublich stark und an diesem entscheidenden und spannenden Abend gibt es hervorragende Kürvorträge.

Midori Ito aus Japan, erst 16, läuft eine dynamische Kür, gespickt mit 6 Dreifach-Sprüngen, fünf verschiedenen, darunter dreifach Lutz und einer dreifach-dreifach Sprungkombination.
Elisabeth Manley aus Canada bezaubert mit einem herzerfrischenden, sprunggewaltigen und fehlerfreien Kürprogramm die Zuschauer. Auch sie springt einen dreifachen Lutz, von der Höhe kann mancher Eisläufer nur träumen und ich sowieso. Tatsächlich schaffe ich es, meinen Kopf frei zu bekommen, über meinen Fehler nicht länger zu hadern und mich statt dessen auf meine Stärke zu besinnen. Dabei hilft es mir auch, in den Charakter der “Maria” zu schlüpfen, den Rest der Welt auszublenden, aber vor allen Dingen die Musik und die Choreografie zu genießen. Ich spüre, in kritischen Situationen konzentriere ich mich besonders.
Es wird meine schönste und gefühlvollste Kür mit vier Dreifachsprüngen, Salchow und Toeloop. Belohnt werde ich in der künstlerischen Note zweimal mit der Höchstnote 6,0, die ich in meiner internationalen Laufbahn bis dahin noch nie erhalten hatte. Da ich vor Debi gelaufen bin, schaue ich mir ihre Kür natürlich direkt von der Bande aus an. Ich denke mir überhaupt nichts dabei, außer dass ich es unlogisch fände, wenn ich schon live vor Ort bin, mir es im Monitor anschauen zu müssen. Immer wieder lese ich in Zeitungen und auf You Tube die Kommentare, ich hätte hier meine Konkurrenz aus dem Konzept bringen wollen. Blödsinn! So taktisch war ich nun auch wieder nicht.
Debi Thomas springt vier Dreifache, Salchow und Toeloop, lässt aus taktischen Gründen den dreifachen Rittberger weg und gewinnt verdientermaßen die WM-Krone, da sie in allen Teilen Pflicht, Kurzkür und Kür am ausgeglichendsten ist.
Sie ist die erste farbige Weltmeisterin im Eiskunstlaufen und bringt das auch gleich in einem Satz auf den Nenner: “Sag es laut ich bin schwarz und stolz”, wird in allen Zeitungen zitiert.
Roland Zorn schreibt in der FAZ “Herrschaftszeiten. Aus den Mauerblümchen sind die Majestäten des Eiskunstlaufens geworden. Alle Macht und Herrlichkeiten den Frauen. Die unangefochtene Eis-Königin der letzten Jahre, Katarina Witt aus der DDR, von der schwarzen Amerikanerin Debi Thomas enttrohnt. Aber wurde sie das wirklich?”

Der berühmte und undankbare Satz: “Nicht Silber gewonnen, sondern Gold verloren” trifft tatsächlich zu. Aber mit dieser Kür, finde ich, liegt ein wenig Goldstaub oben drauf.

Nach dieser WM ist mir klar, dass ich meine Amateur Karriere noch nicht beenden kann. Mein Ziel heißt nun definitiv die Olympischen Spiele in Calgary 1988. Aber bis dahin liegen noch die Weltmeisterschaften nächstes Jahr dazwischen und Debi wird die Gejagte sein. Und ich bin dabei.

Copyright Katarina Witt