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Eiskunstlauf Weltmeisterin in Cincinnati 1987

Der Zweikampf mit der Amerikanerin Debi Thomas, der im Vorjahr in Genf begann und Debis Karriere mit dem Weltmeistertitel krönte, findet nun hier in ihrer Heimat Amerika seine Fortsetzung. Eine zweite Niederlage möchte ich keinesfalls einstecken und so komme ich 1987 zu den Weltmeisterschaften nach Cincinnati, um meinen Titel zurückzugewinnen.

"I came to Cincinnati to win my title back"

In Interviews bin ich immer vorsichtig mit Prognosen, wenn man mich fragt, was ich denn plane. Welch eine komische Frage überhaupt? Natürlich reisen die Sportler zum Wettkampf an, um ihr Bestes zu geben und die Besten, um zu gewinnen. Aber das sagt man natürlich nicht offen heraus, auch, um sich selbst zu schützen, wenn man dann vielleicht ”Mist” baut. Aber in meinem ersten Fernsehinterview für ABC flutscht mir doch tatsächlich der Satz raus:
"Ei kähm tu Tzschintzschinättie tu winn mei teitl bäck".
Und dass im breitesten sächsischsten Akzent. Damit werde ich das Unterhaltungsprogramm der Woche und dieser Satz fast täglich gesendet.

Die Weltmeisterschaft in Cincinnati

Die amerikanischen Fans lieben ihre Eiskunstläufer, aber schätzen auch das Können der Konkurrenz und verhalten sich unglaublich fair, was einen Athleten motiviert. Ungewöhnlich ist in Cincinnati, dass das Training so gut besucht ist und mitunter 5.000 Leute zuschauen, was einige Eisläufer eher nervös macht. Ich wiederum hasse leere Bänke - auch im Training. Wohin soll ich denn lächeln? Wen darf ich anflirten? Die leere Halle? Nee, danke.
Also liebe ich diese Trainingsstunden. Da die Weltmeisterschaft der absolute Höhepunkt der Saison ist, habe ich damals minutiös auf diese eine Woche, diesen Tag, diese wenigen Minuten, in denen es zählt, hintrainiert. Nicht im September, nicht im Dezember und auch nicht im Februar bin ich so fit, nein im März. Hier für die WM. Also macht mir das Training schon unglaubliche Freude und ich genieße die Aufmerksamkeit der Zuschauer. Beim gemeinsamen Kür Training läuft ein Mal die Kürmusik jeder Läuferin durch, damit wir sie üben können. Viele laufen ihr Programm komplett durch, manche nur teilweise und manche ignorieren ihre Musik. Ich mochte es in all den Jahren, in denen ich mehr und mehr spüre, dass das Eiskunstlaufen für mich schon länger nicht nur Springen bedeutet, in denen ich immer besser werde, tänzerisch Gefühle umsetzen zu können, einfach zu improvisieren. Das Tanzen, spielerisch zu laufen, Schritte zu erfinden und meine Mimik zur Musik wird ein emotionales Ventil für mich.
Also nutze ich auch hier die Gelegenheit, zu fremder Musik zu improvisieren. Caryn Kadavy hat für ihre Kür spanische Klänge ausgesucht und diese liegen mir natürlich besonders. Ohne großartig nachzudenken, gebe ich mich der Musik hin und scheine einen ziemlich “guten Job” zu machen. Die Zuschauer applaudieren wie verrückt und ich strahle. Nur Caryn ist ziemlich sauer. Zu Recht! Ich habe ihr die ganze Aufmerksamkeit unbewusst gestohlen!
Tatsächlich habe ich dies niemals mit Absicht getan, was man mir immer unterstellt. Ich habe einfach alles um mich herum vergessen und mein Körper der Musik anvertraut. Etwas, was ich noch ganz, ganz viele Jahre machen darf, aber im März 1987 noch nicht weiß…

Endlich beginnt der Wettkampf und damit die Pflicht. Und damit meine erste Pleite. Fünfte! Schock! Wie soll ich hier bitteschön meinen Titel zurückgewinnen. Ich bin es ja mittlerweile gewohnt, das Feld von hinten aufrollen zu müssen, aber vom 5. Platz? Das erscheint mir fast aussichtslos und der Sieg sieht nur noch eher nach einem Träumchen aus.
Vor mir liegen nun Kira, Debi, Claudia und Caryn. Was für eine ungewohnte Reihenfolge? Jetzt hilft nur noch, sich forsch in die Programme zu stürzen und ja keine Angst zu haben. Denn wenn die Angst zur Triebkraft wird, versagt man garantiert.
Das Kurzprogramm gelingt mir fehlerfrei. Ich gewinne diese Teildisziplin, rutsche auf den 2.Platz nach vorn und weiß, ich habe ein wenig Glück gehabt. Denn wenn Debi hier Zweite geworden wäre, hätte ich keine Chance, aus eigener Kraft zu gewinnen, sondern müsste auf die Fehler der anderen hoffen. Das wäre eine undankbare Situation.
Alle rechnen an den Ergebnissen herum und es stellt sich heraus, dass fünf Mädchen die Chance haben sich die Krone zu holen. Aus einem gedachten Zweikampf wurde nun ein Fünfkampf. So eine enge Rangelei um den Thron gab es auch noch nie!

Die letzte Gruppe der Damenkonkurrenz wird zum Krimi. Jede, aber auch jede läuft besser als die vorhergehende.
Liz Manley legt eine super Leistung vor, dann wächst Caryn Kadavy über sich heraus und läuft so gut, dass sie es selbst kaum glauben kann. Debi Thomas läuft unmittelbar vor mir. Ich bin die ganze Zeit backstage und höre die Zuschauer wie verrückt klatschen und toben und es ist eine Geräuschkulisse, die von den 15.000 Zuschauern ausgeht, so etwas habe ich in meinem ganzen Leben noch nie zuvor erlebt.
Ich bekomme die letzten tobenden Sekunden von Debis Kür noch mit, kann meine eigenen Gedanken kaum hören und weiß, sie ist gerade trotz ihrer Knöchelverletzung um “ihr Leben” gelaufen und hat eine brillante Kür aufs Eis gezaubert. Die Fans sind komplett aus dem Häuschen. Und ich ein wenig blasser um meine Nase.
Ich laufe mich noch ein wenig warm auf dem Eis und wundere mich, dass ich nicht gleich nach Debis Benotung angesagt werde. Gehe an die Bande nachfragen und erfahre, es wird noch ein Commercial im Fernsehen gezeigt. Das muss man sich mal vorstellen! Ich denke: Seid ihr total verrückt? Da verstehe ich natürlich nichts von Live Fernsehen und dem Wert der Werbung.
Ich will endlich anfangen und komme mir vor wie ein bockiges Fohlen was man nicht los lässt. Endlich werde ich angesagt und muss mitten hinein in diesen lautstarken “Hexenkessel”.
Das Publikum nimmt mich sehr herzlich entgegen und das gibt mir richtig Kraft. Außerdem beobachte ich aus einem Augenwinkel, dass Debi sich direkt am Eis platziert, um mir zuzuschauen. Irgendwie kommt mir das bekannt vor! Das gibt mir noch den letzten Kick und ich denke, so jetzt erst recht!
Hole noch mal ganz tief Luft, versuche mich zu beruhigen und mir selbst Mut zu machen. Die erste Dreifachkombination klappt ohne mit der Wimper zu zucken, der Dreifach Salchow hält mir auch die Treue, der Doppel Axel erinnert sich, dass er zum Programm gehört und nun wird´s spannend. Ich weiß, ohne Dreifach Rittberger gehe ich hier noch nicht einmal mit einem Blumentopf nach Hause. Die Choreografie lässt zu, dass ich noch kurz vorher Frau Müller anschaue, sie mir unmerklich aufmunternd zunickt und mir bleibt eh nichts anderes übrig, als ihn zu riskieren. Im Einlaufen bin ich noch gestürzt. Ich laufe an, springe ab und stehe ihn. Yippie! Die anschließende Dreifach Salchow Kombination weiß auch, was sich gehört und bei der Landung des fünften und letzten Dreifachen bekomme ich meinen Mund vor Freude kaum noch zu. In der darauf folgenden Schrittstelle singe ich den Text übermütig mit ”I want to be in Amerika”.
Das Ende erlebe ich fast wie in Trance, habe das Gefühl durchs Programm zu fliegen und die Zuschauer tragen mich noch zum letzten Doppel Axel. Es klappt einfach alles. Es wird meine technisch schwierigste und wertvollste Kür meiner gesamten Karriere sein und bleiben.
Die Rolle der “Maria” aus der berühmten amerikanischen Musikgeschichte in den USA hier in Cincinnati vorzuführen und zu spielen, hat für mich etwas Einmaliges und ich hoffe, Dick Button nimmt seinen Satz “Eine Ostdeutsche tanzt eine amerikanische “Maria” wie ein Amerikaner einen russischen Kasaschok”, irgendwann zurück.
Nach meiner Kür bekomme ich vom Publikum eine Standing Ovation und hätte am Liebsten jeden einzeln in der gesamten Halle umarmt. Aber so zerquetschten Frau Müller und ich uns in der “Kiss & Cry” vor Ausgelassenheit fast gegenseitig. Dann bekomme ich auch noch eine 6.0 in der B-Note und kann das alles gar nicht glauben.
Das muss man den Eislauffans lassen und auch dem heimischen amerikanischen Publikum anerkennen. Es unterstützt immer seine eigenen Läufer, ist aber gleichzeitig fair gegenüber seinen Konkurrenten und erkennt deren Leistungen immer an. Doch nur so hat man als Sportler auch wirklich eine Chance!
Zum Glück konnte ich meine eigene sächsische verbale “Androhung” wahr machen und hole mir meinen “teitl bäck”.
Fortsetzung des Zweikampfes mit Debi folgt...

Copyright Katarina Witt