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Die Ewige Diskussion

20.02.2010

Die gestern verpasste Gelegenheit mit meinen Kollegen zu fachsimpeln bietet sich heute. Jewgeni Pluschenko und Elvis Stojko sind ins ARD-Studio eingeladen. Das Ergebnis der Kür der Herren hat die Eiskunstlaufgemeinde wieder einmal aufgewühlt. Die Russen sind sauer über das Ergebnis. Die Amerikaner sind sauer auf die Reaktion der Russen. Und wieder flammt die ewige Diskussion über das Wertungssystem auf. Schon den ganzen Tag schwirren Zitate von Jewgeni Pluschenko und Elvis Stojko in den Medien herum: “Das ist Eiskunstlauf der Männer und nicht Eistanz” sagte z.B. Jewgeni Pluschenko gegenüber der Presse und Elvis Stojko meinte u.a.: “Der Vierfache trennt die Männer von den Jungs.” Genügend Zündstoff für das heutige Gespräch. Schon bei der Begrüßung in den Gängen des ARD-Komplexes im IBC geht die Diskussion los. Es ist zu spüren, dass der Stachel tief sitzt und die Enttäuschung über Silber bei Jewgeni groß ist.

Später im Studio während der Live-Ãœbertragung machen Jewgeni Pluschenko und Elvis Stojko ihren Standpunkt klar. Sie sind der Meinung, dass es die Vierfachsprünge sind, die die Spreu vom Weizen trennen. Der Rest, also Piouretten, Schrittkombinationen usw., spielt für die beiden nur eine Rolle, wenn man bei den Vierfachen auf gleicher Höhe liegt. Dementsprechend plädieren Jewgeni und Elvis für eine bessere Bewertung dieser Höchstschwierigkeiten.

Aber so einfach ist es auch nicht. Die Magie des Eiskunstlaufens besteht für mich in der perfekten Kombination von technischen Höchstschwierigkeiten und künstlerischer Darbietung. Ein Grundproblem ist dabei die Tatsache, dass sich der künstlerische Anteil weitestgehend einer objektiven Bewertung entzieht. Man kann noch so genaue Punktesysteme für Schrittkombinationen und Sprünge entwickeln, für den künstlerischen Eindruck wird dies niemals funktionieren, ganz einfach weil dieser unterschiedlich wahrgenommen wird. 

Seit Jahren bin ich ein großer Fan von Jewgeni Pluschenko. Ich mag seine Persönlichkeit auf dem Eis. Für mich ist er ein kompletter Läufer, der sowohl über beste technische Fähigkeiten als auch über Charisma verfügt. Und deshalb widerspreche ich den Rufen von Jewgeni und Elvis nach noch mehr Vierfachen und noch verrückteren Kombinationen. Gerade bei diesen Olympischen Spielen haben wir gesehen, wohin uns die “Schneller, Höher, Weiter”-Mentalität bringt. Und gerade auch Jewgeni Pluschenko weiß nach mehreren Knie-Operationen ganz genau, welche Spuren das tägliche An-die-Grenzen-Gehen am eigenen Körper hinterlässt.

Es liegt in der Natur des Eiskunstlaufens, dass es niemals eine 100%ig gerechte Bewertung geben wird. Das gegenwärtige System beinhaltet sicherlich Fortschritte gegenüber der alten Bewertung, da es für die einzelnen Elemente eine klar definierte Berechnungsgrundlage gibt. Aber schon bei der Bewertung von “gut" oder "schlecht ausgeführt” kommt wieder Subjektivität ins Spiel. Bei aller technischen Weiterentwicklung wird sich diese Sportart meiner Meinung nach immer vor allem über Persönlichkeiten und Emotionen definieren. Sie machen die Attraktivität dieser Sportart aus. Das Problem des gegenwärtigen Bewertungssystems ist, dass es Persönlichkeiten und Emotionen nicht genug Raum bietet und eher zu uniformierten Programmen führt, die rein rechnerisch hohe Punktzahlen versprechen. Schon für ein geschultes Auge sind die Programme so vollgestopft mit Elementen, die wiederum bis zum höchsten Level ausgereizt werden, dass die Darbietungen der Läufer schnell zu einem “Information Overload” führen. Der Betrachter hat so kaum eine Chance das Programm vollständig zu verarbeiten, zu verstehen oder zu geniessen.

Die Diskussionen über die Bewertung gehören zum Eiskunstlaufsport wie die Schnürsenkel zum Schlittschuh. Sie machen den Reiz dieser Sportart aus und werden uns immer begleiten...

Herzliche Grüße aus Vancouver

Katarina 

Copyright Katarina Witt