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Dem Druck Standhalten

10.02.2010

Der Tag beginnt mit einem Sonnenaufgang wie aus dem Vancouver Reiseführer. Ständig unterbreche ich meine Joggingtour, um noch ein Foto von dem gleichen Motiv zu schießen und ich weiß jetzt schon, daß ich heute Abend wieder 9 von 10 Bildern löschen werde, Segen und Fluch des Digitalzeitalters. Ein wunderschöner Tag liegt in der Luft und dies erhöht noch meine Vorfreude, denn heute geht es endlich zum ersten Mal ins Eisstadion. Unsere Goldhoffnung Aljona Savchenko und Robin Szolkowy trainieren in der Wettkampfhalle, dem Pacifc Coliseum, für ihr Kurzprogramm und da möchte ich natürlich dabei sein. Ãœberhaupt wird es nun langsam Zeit, daß es mit den Wettkämpfen losgeht. Leicht angespannt fahren wir zur Eishalle. Klar interessiert mich die Verfassung unserer Weltmeister persönlich, aber natürlich würde ich gern in meiner Funktion als ARD-Eiskunstlaufexpertin nach dem Training auch ein Gespräch mit Aljona und Robin führen. Allerdings wissen wir, daß sich die beiden voll auf Olympia konzentrieren und keine Interviews geben wollen. Ich hoffe, Aljona und Robin machen für mich eine Ausnahme. Ich war schon oft in der gleichen Situation und verstehe, daß sie nur ungern vor Wettkämpfen über sich reden möchten. Und wie das immer so ist, manchmal macht man sich einfach zu viele Gedanken. Aljona, Robin und ihr Trainer Ingo Steuer sind zwar konzentriert bei der Sache aber ohne viel Aufhebens bereit, nach dem Training ein paar Worte mit mir zu wechseln.  Zunächst müssen  Aljona und Robin aber als Erstes der Favoritenpaare aufs Eis. Die chinesischen Olympiadritten von Turin 2006, Shen Xuan und Zhao Hongbo, die in der nächsten Gruppe starten, unterbrechen ihr Aufwärmprogramm und schauen unseren Weltmeistern bei ihrem Kurzprogramm zu. Was sie zu sehen bekommen, dürfte sie zumindest in Spannung halten, denn Aljona und Robin laufen ein fehlerfreies Kurzprogramm. Die wenigen Zuschauer in der Halle haben alle etwas Wichtiges zu tun und doch schaffen es Aljona und Robin, sie für einen Augenblick in den Bann zu ziehen. Das ist doch mal eine Ansage für die kommenden Tage und ich kann es kaum erwarten, die beiden im Wettkampf zu erleben. Während sich Aljona und Robin umziehen, treffe ich alte Bekannte aus dem kanadischen Team, unter anderem Jamie Sale. Sie und ihr Partner David Pelletier erhielten nach einem Skandal um umstrittene Preisrichterwertungen bei den Olympischen Spielen von 2002 in Salt Lake City gemeinsam mit dem russischen Paar Bereschnaja und Sicharulidse die Goldmedaille. Dieser Skandal war übrigens der Anlaß für die Umstellung auf das heutige Bewertungssystem. Jamie arbeitet hier fürs kanadische Fernsehen und natürlich bleibt Zeit für ein freudiges "Hallo". Und dann geht es sofort in die so genannte Mixed Zone, die Gasse für die Interviews mit den Eiskunstläufern nach dem Wettkampf. Etwas orientierungslos oder vielleicht auch aus alter Gewohnheit lande ich zunächst in der Spur für die Athleten und ernte ein schallendes Gelächter von meinem Kamerateam. Die Mixed Zone ist aber noch ziemlich verwaist und so klettere ich kurzerhand auf die andere Seite, gerade rechtzeitig um Aljona und Robin abzufangen. Die beiden sind zufrieden mit ihrer Leistung, aber ich merke ihnen ihre Anspannung an und will sie nicht zu lange mit meinen Fragen quälen. Es ist interessant, wie unterschiedlich die Sportler mit der Wettkampfvorbereitung umgehen. Für mich waren die Trainingseinheiten bei Olympia immer eine Gelegenheit, ein wenig "anzugeben" und zu zeigen, was ich drauf habe. Der Wettkampfdruck hat mich zu Höchstleistungen getrieben, aber im Training wollte ich auch Spaß haben. Allerdings hat Frau Müller stets dafür gesorgt, daß ich zum richtigen Zeitpunkt voll bei der Sache war. Ingo Steuer hat offensichtlich auch die richtige Mischung für Aljona und Robin gefunden. In meinem Gespräch mit ihm nach dem Training, erzählte er mir von der holprigen Vorbereitung in dieser Olympiasaison, angefangen vom Kürmusikwechsel, über Aljonas Erkältung bis hin zur unglücklichen Silbermedaille bei den Europameisterschaften in Tallin. Er erwähnte, wie all dies die Motivation zusätzlich angestachelt hat und wie sie deshalb in den letzten Wochen so hart wie noch nie zuvor trainiert haben. Ich wünschte, ich könnte Aljona und Robin in diesem Moment etwas Druck von den Schultern nehmen, aber ich weiß auch, daß nur wer diesem ungeheuren Druck standzuhalten vermag, am Ende auf dem Siegertreppchen steht.

Herzliche Grüße aus Vancouver

Katarina

Copyright Katarina Witt